Angst ist Sicherheit – Oh, wahrlich, wir leben in Orwellschen Zeiten

Stellen wir uns folgende Situation vor:
Eine Demo, sagen wir zur Stillegung eines Atomkraftwerkes. Viele Hundert Menschen sind gekommen. Es bilden sich Demoblöcke, Transparente werden gehalten und markieren die Blöcke der verschiedenen Teilnehmergruppen. Plötzlich versperren Polizeikräfte die angemeldete Route. Die Demo bewegt sich darauf zu. Die Polizei schubst gegen das Transparent, will es wegreißen … Drängeln, Schubsen,  Demo-Teilnehmer*innen halten das Transparent fest.

Das ist , wenn es nach den neuen Polizeigesetzen geht, schon eine Widerstandshandlung, die mit – weil gemeinschaftlich begangen – mit mindestens 6 Monaten bestraft werden soll.

So sieht die Zukunft unserer Proteste aus. Das Damoklesschwert mehrerer Monate Haft hängt über uns, wenn der Kontakt mit der Polizei zu eng wird – oft von Polizeiseite aus provoziert.  Es liegt also in der Hand von Vollstreckungsbeamt*innen, ob Demos ruhig und folgenlos bleiben oder nicht, ob sie kriminalisiert werden oder nicht.

In fast allen Bundesländern ist die Politik dabei die Ländergesetze, die die Aufgaben und Befugnisse der Polizei regeln, neu zu fassen und erheblich auszuweiten. Bayern ist Vorreiter mit seinem Polizeiaufgabengesetz, das den anderen Bundesländern – wenn es nach Innenminister Seehofer geht – als Vorlage diesen soll. Sachsen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen folgen in Kürze.

Angeblich geht es um Prävention, doch in Wirklichkeit es geht um viel mehr: es erlaubt, um angeblich bevorstehenden Straftaten vorzubeugen, gegen Menschen vorzugehen, die noch gar keine Straftäter sind.

Was eine Straftat ist oder nicht, ist so schwammig formuliert, dass es von der Auslegung der jeweiligen Beamt*innen  vor Ort abhängt, ob eine Ahndung erfolgt und wie sie aussieht. Dies stellt einen direkten Angriff auf die Gewaltenteilung dar, eine schleichende Machtverschiebung auf die Exekutive.

Bisweilen reicht eine als Beleidigung aufgefasste Bemerkung, um Straftäter*in zu werden. Wem das unterstellt wird, kann schon im Vorhinein im Fokus der Sicherheitskräfte sein.

Diese Maßnahmen sind noch härter und umfassender als bisher, mit allen Risiken, die damit verbunden sind – mit dem Risiko etwa, unbescholtene und unbeteiligte  Menschen zu kriminalisieren. Das nehmen Politiker*innen in Kauf.

Nach den neuen Regelungen dürfen Daten anlasslos überprüft, eingesehen und kopiert werden, z. B. in einer Cloud oder einem Computer. Die Daten dürfen nicht nur abgegriffen werden, sondern auch verändert werden. Was das bedeutet, kann sich jeder ausmalen. Zudem liefern Trojaner weit mehr Daten, als zulässig ist.

In Anbetracht der Tatsache, dass soziale Netzwerke schon jetzt anhand von Algorythmen in der Lage sind passgenaue psychologische Profile von Menschen zu liefern hinsichtlich ihrer Gewohnheiten, Vorlieben, Konsumverhalten und politischer Ausrichtung – ja, sich damit rühmen sogar teilweise Handlungen von Personen voraussagen zu können – stellt sich die Frage wie weit wir noch von den in Orwell’s Dystopie beschriebenen „Gedankenverbrechen“ entfernt sind. Sollte der Staat sich nicht vielmehr schützend neben seine Bürger stellen anstatt selber zur Datenkrake zu werden?

Kernbegriff ist u.a. die „Drohende Gefahr“, d.h. eine Gefahr, die unterstellt wird, ohne dass es dafür Anhaltspunkte geben muss. Schon die Vermutung der Polizei, jemand könnte eine Straftat eventuell begehen, reicht aus, um jemanden u.a. mit o.g. Maßnahmen zu überziehen.

Als zusätzliche Repression gibt es auch die „drohende terroristische Gefahr“, die in der Realität nichts mit normalen Aktivisten zu zun hat. Aber ein Nachsatz kann stutzig machen: „[…] diese [liegt] auch dann vor, wenn lediglich das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass die Person innerhalb eines absehbaren Zeitraums eine Straftat von erheblicher Bedeutung begehen wird.“ (NRW-Landtag Drucksache 17/2351) Hier versammeln sich soviele offen interpretierbare Begriffe, dass niemand sicher sein kann, was gemeint ist. Der Willkür ist Tür und Tor geöffnet.

Der Begriff der „Drohenden Gefahr“ ist nach dem BKA-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes (BVG) von 2016 ausschließlich für Terror-Abwehr zulässig und wird durch die neuen Polizeigesetze erheblich erweitert, daduch dass er den neuen Begriff der „drohenden terroristischen Gefahr“ einführt. Somit sind die neuen Befugnisse der Polizei ein eindeutiger Verfassungsbruch (Az 1BvR 996/09 und 1 BvR 1140/09).

Nach dem BVG kommt es darauf an, dass insbesondere die Maßnahmen davon abhängig sein müssen, dass tatsächliche Anhaltspunkte für eine im Einzelfall drohende konkrete Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut vorliegen. (vgl. BVerfGE 120, 274 <326, 328>).

Es entsteht ein Polizeiapparat mit Befugnissen, die bisher höchstens Geheimdienste hatten, unter parlamentarischer Kontrolle. Die neuen Gesetzte geben der Polizei Waffen, wie sie das Militär hat. Die Vollstreckungsbeamten erhalten Eingriffs-und Zugriffsrechte, wie sie in einem Rechtsstaat nur Staatsanwälte und Richter haben dürfen. Die neuen Polizeigesetze machen aus der Polizei eine Armee des Inneren.  In der Bundesrepublik Deutschland ist es  nicht ohne Weiteres zulässig die Bundeswehr im Inneren einzusetzten. Das wird hier umgangen, indem die einfache Polizei mit militärischen Mitteln ausgestattet wird. Zudem auch noch mit geheimdienstlichen Instrumenten.

Es geht darum, Angst zu verbreiten. Jede*r Aktive kann zur Gefährder*in erklärt zu werden. Allein diese Möglichkeit hat schlimmen Folgen für die Demokratie.

„Die Sicherheitsapparate eines Polizeistaats dürfen alles, was sie können. Die Sicherheitsapparate eines Rechtsstaats können alles, was sie dürfen. Sie dürfen und können auch in einem Rechtsstaat ziemlich viel, aber das hat seine Grenze.“ (Prantl)

Die neuen Polizeigesetze überschreiten diese Grenzen an verschiedenen Stellen deutlich.

Inhaltlich erinnern die Gesetze bzw. Ihre Begründung an die Notstandsgesetze zur Inneren Sicherheit von 1968.  Um die Notstandsgesetze anwenden zu können musste die Bundesregierung den „Notstand“ ausrufen. Das lag in der Hand der Staatsmacht. Die neuen Polizeigesetze sind Dauerrecht, können jeder Zeit angewendet werden, von beliebigen Polizist*innen. Das ist ein entscheidender Unterschied zum erklärten Notstand. Es ist Dauernotstand, wenn die Polizei es will.

Es ist als Drohgebärde des Staats gemeint – es soll Angst verbreiten unter denjenigen, die nicht schweigend zusehen wollen, was die herrschende Politik so treibt. Ein eindeutiges Beispiel ist die Ingewahrsamnahme für mehrere Tage eines mutmaßlichen Gegendemonstranten zu einem AfD Parteitag (Ende Juni in Augsburg). Ein Richter segnete die „Sicherheitsingewahrsamnahme“ einen Tag später ab. Ebenso wurde ein Betretungsverbot für eine andere Aktivistin ausgesprochen. Die angeblich geplanten Straftaten waren Sachbeschädigung und Nötigung. Das enwentuelle Besprühen einer Hauswand (bei der Hausdurchsuchung wurde angeblich eine Sprühdose gefunden)  ist schon eine Sachbeschädigung. Blokadeaktionen (z.B. sich auf die Zufahrtsstraßen stellen/setzten/legen) sind schon Nötigung.

Anfang des Jahres 2018 wurde die Verschärfung des § 113 ff. StGB diskutiert. Es ging darum, schon die kleinste als Widerstand zu empfindende Geste gegenüber Polizeikräften mit hohen Strafen zu versehen. (Schon bei Anrempeln z.B. auch versehentliches drohen mindestens 3 Monate Haft, wenn die Polizei es zur Anzeige bringt.)

Die Verschärfungen des § 113 ff. StGB sind eine völlige Umkehrung der bisherigen Verhältnisse in ihr Gegenteil: Bei Identitätsfeststellung, Hausdurchsuchungen, Festnahmen, etc kann es zu Handlungen kommen, die als Widerstand eingestuft werden könnten. Hierbei sollte früher beim Strafmaß mildernd berücksichtigt werden, dass sich Betroffene in Zwangssituationen befinden.

Verhalten, wie „Anrempeln, Arme versteifen oder Stemmen gegen die Laufrichtung“,  würde zwischen Zivilpersonen zu keinerlei strafrechtlichen Folgen führen. Bei Vollstreckungspersonen  aber schon. Polizist*innen sind „Geschädigte, Anzeigenerstatter*innen und Ermittler*innen in einem. Wie soll da Recht gefunden und gesprochen werden?

Bei diesen Gesetzen werden Staatsbedienstete unter einen „besonderen Schutz“ gestellt, der für normale Bürger*innen nicht gilt. Das sei wegen einer vermeintlichen  Sicherheitslücke und der besonderen Gefährdung der Beamt*innen nötig.  Doch eigentlich existiert keine „Sicherheitslücke“, denn jede*r Bürger*in – wie es die Beamt*innen auch sind – ist über das allgemeine Strafrecht gleichermaßen geschützt. Einen solchen besonderen Schutzstatus von Staatsdiener*innen findet man sonst nur in autoritären Staaten. Zu einer rechtstaatlichen Demokratie passt das nicht.

Wir sehen gerade zu, wie der demokratische Rechtsstaat in einen autoritären umgewandelt wird. Das zerstört schon die im Grundgesetz garantierten demokratischen Rechte des Einzelnen, die Grundlage unserer Gesellschaft.

Es werden polizeiliche Sonderrechte eingeführt, die die Menschen nicht nur einschüchtern und von Demonstrationen fernhalten sollen, sondern gegebenenfalls auch Massenproteste offen unterdrücken könnten. Aber gerade angesichts der immer repressiveren Politik sind Massenproteste und aktiver Widerstand  das Gebot der Stunde. Die Gewaltenteilung ist in Gefahr.

Dieser durch Demonstrationen entstehende Druck ist aber nötig, denn,  in einem Interview mit dem Autor sagte der Grünen Politiker Christian Ströbele, dass gesellschaftliche Veränderungen nur durch lange anhaltenden und massiven Druck von Außen erreicht werden können.

Von  der Politik selbst ausgehend sind keine positiven Veränderungen zu erwarten.  Das ist bedauerlich, aber das Scheitern der repräsentativen parlamentarischen Demokratie wird dadurch nur allzu offensichtlich.

Die neuen Gesetze werden die Handlungsmöglichkeiten schon des bürgerlichen Protestes in ganz erheblichem Maß beschneiden, wenn es die Behörden wollen. Dezidiert linker Protest wird noch schärfer verfolgt werden. An vielen Stellen brauchten Richter nichts mehr anordnen. Es muss nur mit der Gefahrenlage argumentiert werden.

Z.B. die Umweltbewegung ist darauf angewiesen mehr und mehr ihre Proteste zu  verstärken. Anders kann sich gegen die Macht der Konzerne mit ihrer Lobbyarbeit in den Parlamenten kein  Gehör verschafft werden.  Da diese Proteste am Kern der derzeitigen Politik rütteln (z.B. in den Bereichen Asyl und Migration, Energie, Verkehr und Autoindustrie, Klima, Chemieindustrie) kann bei Bedarf eine Gefahr beschworen werden. Diese vom Lobbyismus geprägte Politik untergräbt die Demokratie und wird assistiert von Polizeigesetze die die demokratische Rechtsordnung aushebeln.

Es bedarf Menschen, die keine Angst vor Repressionen haben. Die ihre Rechte einfordern. Das wird nicht ohne Druck gehen – das haben die letzten Jahre gezeigt. Umweltkampf heißt auch, grundsätzliche Eckpunkte des finanzkapitlistischen Wirtschaftsystems in Frage zu stellen.

Wenn ein Regencape, ein Schal oder eine Fahne zur Waffe erklärt werden, ist es die Entscheidung der Polizei, ob dadurch Gefährdungspotential gegeben ist oder nicht.  Ist eine Person regelmäßif auf Demonstrationen, kann die Polizei im Vorfeld Observieren, Inhaftieren, Wegsperren – nach Lust und Laune, denn weder muss ein Richter einbezogen werden, noch ein Anwalt zugelassen. Mit diesen PoliGesetzen sollen Menschen gezielt eingeschüchtert werden.

Wenn der Kapitalismus sich sicher fühlt, ist er liberaldemokratisch, wenn er sich bedrängt fühlt zeigt er sein faschistisches Gesicht, sagte Herber Marcuse einst. Hat der linke Protest doch gewirkt über die Jahre? Fühlt sich das finanzkapitalistische System schon so in Bedrängnis? Haben es die G20-Proteste, die ja Proteste gegen die Wirtschafts- und Klimapolitik gerichtet  waren, geschafft, den Druck so zu erhöhen, dass das wahre Gesicht zu Tage tritt?

Es gibt im Grundgesetz aus den historischen Erfahrungen heraus, den sogenannten Widerstandsparagraphen, der jeden rechtlich absichert, der Widerstand leistet, gegen diejenigen, die sich anschicken den demokratischen Rechtsstaat zu zerstören.

Es ist umstritten, ab wann dieses (Widerstands-)Recht greift. Nach einer Auslegung greift dieses Recht  bereits, noch bevor die Ordnung akut gefährdet ist. Schon den Vorbereitungen zu Grundrechtseingriffen  darf Widerstand entgegebgebracht werden.

Nach anderer Rechtsauffassung greift dieses Recht nur, wenn die Verfassungsordnung bereits ausgehebelt wurde – somit bleiben selbst bei offensichtlichen Verstößen der Staatsorgane gegen die Verfassung nur der Weg über Wahlen und Abstimmungen sowie der Rechtsweg, solange letzterer noch beschritten werden kann.

Die politisch Herrschenden sind  auf dem besten Weg die Vorbereitung zur Beseitigung der Grundrechte durch die Parlamente zu peitschen. Sie sorgen durch begleitende Maßnahmen, wie der Kriminalisierung des Protests, dafür, dass der Rechtsweg dagegen kaum noch beschreitbar ist.

Man muss noch nicht einmal Romane bemühen, ein Blick in die düsterste Vergangenheit deutscher Geschichte genügt, um zu erkennen wohin der Weg führt. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Demokratie mit ihren eigenen Mitteln ausgeschaltet wird.

Der Schriftsteller Ödön von Horváth soll Anfang der 1930er Jahre gesagt haben: Oh, wir leben in eiskalten Zeiten. Und er meinte den Faschismus. Wir leben in Zeiten, da die rechten Organisationen vom Verfassungsschutz gedeckt  – und linke Bewegungen kriminalisiert werden.

Begriffe werden instumentalisiert: Vor dem Hintergrund von Anschlägen, die zu allgemeiner Unsicherheitslage hochstilisiert werden, erzeugt man Angstszenarien. Mit vermeintlich präventiven Maßnahmen soll Sicherheit simuliert werden.

„Krieg  ist Frieden; Freiheit ist Sklaverei; Unwissenheit ist Stärke“ heißt es im Roman „1984“. Im Jahre 2018 ändern sich die Begriffe – die Methode bleibt:  „Angst ist Sicherheit“. Eine tiefe Verunsicherung der Bevölkerung ist die höchstmögliche Variante von geheuchelter Sicherheit.

Und so stellt sich wieder einmal die Frage: Was tun?
Die Antwort heißt: Tu was!
Die Zeit ist abgelaufen.
Politik und Demokratie muss neu aufgestellt werden.
Wir müssen für eine solidarische, repressionsfreie Gesellschaft kämpfen zu jeder Zeit an jedem Ort.

Literaturangaben:
https://netzpolitik.org/2018/die-csu-setzt-ihr-neues-polizeigesetz-in-bayern-durch/

Grundrechte-Report 2018, Fischer TB 70189
Prantl: URL: http://www.sueddeutsche.de/bayern/polizeiaufgabengesetz-heribert-prantl-kommentar-1.3977434
Petition an: Ministerpräsident Dr. Markus Söder Neues Polizeiaufgabengesetz (PAG) verhindern!
Bayerischer Landtag Drucksache 17/20425
Gesetzentwurf neues Nds-SOG, Stand 19.1.2018
Staatsministerium des Innern, Freistaat Sachsen : Polizeivollzugsdienstgesetz, Polizeibehördengesetz
NRW-Landtag Drucksache 17/2351
Neues Deutschland 29.6.2018
Georg Orwell: 1984, Roman (Erstausgabe 1949, dt 1950)