Warum wir gesellschaftliche Unruhen benötigen

Auf gesellschaftliche Institutionen ist kein Verlass mehr. Hamburg und der G20 Gipfel haben es anschaulich gezeigt. Menschen, die sich für ihre Rechte einsetzen und ihre Meinung kundtun sind nicht erwünscht. Sie werden provoziert, gedemütigt und radikalisiert, damit das Establishment zurückschlagen kann. Mit aller Gewalt und Macht, die es zu bieten hat. Die hässliche Fratze des Kapitalismus.

Gegen rechtswidriges Polizeihandeln könne man sich ja anschließend gerichtlich zur  Wehr setzen. Aber selbst wenn es gerichtlich festgestellt wird, können Schläge und Verletzungen nicht mehr rückgängig gemacht und die Täter auch nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Weder die handelnden Einsatzkräfte noch die politisch Verantwortlichen.

Was im Hamburg während des G20-Gipfels geschah war ein Manöver unter Realbedingungen. Der Ausnahmezustand wurde geprobt. Der Ruf nach einer Notstandsverfassung sofort laut. Noch mehr Polizei soll Sicherheit schaffen – alle Parteien sind sich da einig. CDU, SPD, AfD sowieso aber auch Grüne, FDP und Linke. Unisono. Bessere Ausrüstung und mehr Polizei.
Es läuft aus dem Ruder.

Die Politiker an der Macht sind ausführende gegen die Bevölkerung – egal was sie vorher versprochen haben.  Vertraut den parlamentarischen Parteien nicht. Sind sie in der Regierung haben sie Demenz im fortgeschrittenen Stadium.

Sie dienen nur noch dem Geld-Establishment. Der sogenannte Finanzmarkt erzeugt Geld, hinter dem keine Leistung oder ein realer Wert mehr steckt. Das Geld vermehrt sich wie ein Krebsgeschwür. Wachstum ohne Form und ohne Begrenzung.

Gegen Krebs hilft – wenn alles andere nicht fruchtet, nur eine schmerzhafte Operation.

Die Menschen in industriellen Weltgegenden werden gerade so mit Mindestlöhnen – oder auch ohne – und minimalen Sozialleistungen am Leben erhalten. Diejenigen in anderen Ländern werden durch unfaire – freier Handel genannte – Bedingungen ausgebeutet bis auf das Skelett. Handel statt Hilfe (siehe Freitag v. 6.7.2017).

Deutschland immer vorneweg. Und wenn es nicht mehr funktioniert, wird mit Waffengewalt die „Sicherung der Interessen“ angedroht oder durchgesetzt.

Bis zu 3/4 der Erwerbsarbeitsplätze wird in den nächsten Jahren in den Industrie und Schwellenländern wegfallen. Ursache ist die zunehmende Digitalisierung der Produktion.  Automaten produzieren, überwacht von wenigen Facharbeitern.  Es wir keine Branchen geben, die neue Erwerbsarbeitsplätze in ähnlicher Zahl schafft, denn: Automaten konstruieren und bauen auch neue Automaten.

Doch was wird dann?
Eigentlich ist die Antwort ganz einfach: Der Produktivitätsgewinn muss gesellschaftlich abgeschöpft und verteilt werden. Das bedeutet Umverteilung zu Gunsten Vieler und – zugegebenermaßen – zum Nachteil der wenigen Herrschenden des sog. (Finanz-)Establishments.

Wie schon in den letzten Jahrzehnten werden neue Erwerbsarbeitsplätze versprochen – diese, wenn sie denn kamen, waren welche mit prekärer  Einkommensperspektive. Soziale Leistungen wurden und werden weiterhin  abgebaut. Jeder solle für sich selbst sorgen ist das Bekenntnis der Neo-Liberalen.

Was wir brauchen, ist ein neuer Ansatz:

Arbeit muss vom Lebensunterhalt abgekoppelt und neu definiert werden. Jedwede Tätigkeit im sozialen und gesellschaftlichen Umfeld muss anerkannt sein. Nicht (nur) das, was (gut) entlohnt wird.

Zur Zeit dienen die Menschen „der Wirtschaft“ – dabei muss es umgekehrt sein. Wirtschaften ist dazu da, die Lebensgrundlagen der Menschen zu schaffen und zu verbessern. Nicht, um auszubeuten und auf einem (notwendigen) Minimum leben zu lasen, damit unmäßige Gewinne möglich sind. Gewinnen muss die Gesellschaft – die Menschheit. Weltweit.

Das bedeutet Sicherung der Ressourcen – Langlebigkeit der Produkte – Nachhaltigkeit in der Produktion und im Konsum. Zum Wohle Aller.  Vielleicht bedeutet es auch ein wenig zurückdrehen. Zumindest in Europa haben wir dafür genug Spielraum. Etwas weniger ist auch noch genug.

Wir brauchen neue gesellschaftliche, demokratische und soziale Verabredungen auf europäischer Ebene, damit wir eine solidarische Gesellschaft in ganz Europa bekommen und nicht einen der Staat auf dem Rücken eines anderen profitiert.

Es gibt eine gesellschaftliche Lösung: Das bedingungslose Grundeinkommen.

Die Sicherung eines würdigen Dasein aller – gesellschaftlich finanziert. Mit der Möglichkeit durch Erwerbsarbeit seine Lebensbasis zu vergrößern.

Davor haben die derzeit Mächtigen Angst. Menschen, die in der Lage sind so tätig zu werden, wie sie es selbstbestimmt wünschen. Menschen, die nicht mehr durch  Aussicht auf Erwerbsarbeit erpressbar sind. Menschen, die politisch Handeln können, die ihre Rechte einfordern.

In einem Interview mit dem Autor sagte der Grünen Politiker Christian Ströbele, dass gesellschaftliche Veränderungen nur durch lange anhaltenden und massiven Druck von Außen erreicht werden kann. Vor den Politik selbst ausgehend sind keine Änderungen zu erwarten.  Das ist bedauerlich, aber das Scheitern der repräsentativen parlamentarischen Demokratie ist nur allzu offensichtlich.

Was uns als Reformen verkauft wird, sind Rückschritte im Hinblick auf  gesellschaftliche Solidarität. Macron – der neue König in Frankreich – zeigt es deutlich: Aufbruch versprechen und Entsolidarisierung  einlösen. Zu hoffen ist, dass die organisierten und unorganisierten sich das nicht bieten lassen und außerhalb des Parlamentes deutlichmachen, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung betrogen fühlt.

Es bedarf Menschen, die keine Angst vor Repressionen haben. Die ihre Rechte einfordern. Das wird nicht ohne Druck gehen – das haben die letzten Jahre gezeigt. Die Zeit ist abgelaufen. Politik und Demokratie muss neu aufgestellt werden.

Wenn keine Bereitschaft zur Einsicht herrscht – muss sie erzwungen werden.